Als der Winter ins Land zog und es draussen bitter kalt wurde, sassen sie am Abend gemütlich vor dem Feuer und die Mutter las den Mädchen aus einem grossen Buch vor. Da klopfte es laut an der Tür. Als Roserot die Tür öffnete, stand ein grosser Bär darin. Roserot erschrak und wollte die Tür gleich wieder zuschlagen, aber der Bär sagte: «Händ kei Angscht, ich tue-n-Eu nüüt. Ich wott mi nume echli uufwärme!» Die Mutter liess den Bären herein und bot ihm einen Schlafplatz beim Feuer an.Nach kurzer Zeit waren die beiden Mädchen sehr vertraut mit dem Bären, sie spielten mit ihm und zerzausten sein dickes Fell. Dem Bären gefiel das, aber wenn es ihm gar zu arg wurde, brummte er: «Lönd mi am Läbe, ihr Chind! Schneewiissli und Roserot, schlönd Eu nöd de Freier z´Tod.»
Als es Frühling wurde, zog es ihn in die Wildnis zurück. Beim Abschied blieb er mit seinem zottigen Fell am Türpfosten hängen und Schneewiissli glaubte, etwas Goldenes darunter hervor schimmern zu sehen.Als Schneewiissli und Roserot im Wald unterwegs waren, trafen sie dreimal hintereinander auf einen bärtigen Zwerg, der jedes Mal in einer anderen Klemme steckte. Beim ersten Mal war sein Bart beim Holzhacken in einer Baumspalte eingeklemmt, beim zweiten Mal verknotete sich sein Bart in der Angelschnur, ein grosser Fisch wollte ihn unter Wasser ziehen und beim dritten Mal wurde er von einem mächtigen Adler gepackt, der ihn in die Lüfte davon tragen wollte.
Die beiden Mädchen halfen dem armen Zwerg, so gut sie konnten; es gelang ihnen, ihn zu befreien, aber jedes Mal musste ein kleines Stück seines Bartes dran glauben. Statt sich für die Hilfe zu bedanken, schimpfte der Zwerg nur mit den Mädchen: «Unghoblets Wiibervolch, schniidet min schöne Bart ab! – Lohns Eu de Gugger!»Damit verschwand er im Unterholz.
Etwas später trafen Schneewiissli und Roserot den Zwerg wieder an auf einer Waldlichtung, wo er gerade ganz viele Edelsteine ausbreitete, die in der Sonne nur so funkelten. Als er die Mädchen bemerkte, versteckte er seinen Schatz rasch und beschimpfte sie erneut. Er wollte die Beiden gerade in zwei kleine Häschen verzaubern, als aus dem Gebüsch ein fürchterliches Gebrüll ertönte. Ein grosser Bär trat hervor, hob seine riesige Pranke und schlug den bösen Zwerg zu Boden.
Die Mädchen wollten davon rennen, doch der Bär rief ihnen zu: «Schneewiissli und Rosenot, Ihr müend e kei Angscht ha!» Da erkannten sie die Stimme ihres Bären, der den ganzen Winter mit ihnen verbracht hatte. Und in diesem Augenblick fiel das Bärenfell von ihm ab und ein schöner, in Gold gekleideter Prinz stand vor ihnen.
Schneewiissli heiratete den Prinzen und Roserot seinen Bruder. Sie lebten lange und glücklich im Königsschloss zusammen mit ihrer Mutter. Und die beiden Rosenbäumchen bekamen einen Ehrenplatz im Schlossgarten. Jahr für Jahr tragen sie rote und weisse Blüten bis zum heutigen Tag.